Der Alltag einer freiberuflichen Pflegefachkraft bedeutet viel Stress und Selbstmotivation, aber auch eine leistungsgerechtere Bezahlung.
Hier ein kleiner Einblick in den Alltag einer selbstständigen Pflegefachkraft.
Das Handy vibriert: Eine SMS von der Vermittlungsagentur für freiberufliche Pflegekräfte. „Pflegefachkraft für eine ambulante Pflegestation in Berlin Wedding ab sofort bis Ende des Monats gesucht! „ heißt es in dieser Kurzmitteilung. Ich antworte so schnell es geht darauf, denn wer sich zuerst für diesen Auftrag entscheidet und der Vermittlungsagentur antwortet, bekommt den Auftrag. Doch der Erste zu sein ist im Raum Berlin gar nicht mehr so einfach. Dieses Mal bin ich wieder einmal der „Gewinner“. Alle Kontaktdaten der ambulanten Pflegestation schickt mir die Vermittlungsagentur per Email zu.
Ich rufe in der Pflegestation an: „Guten Tag, mein Name ist Mathias Berger, ich bin freiberufliche Pflegefachkraft und habe von der Vermittlungsagentur den Auftrag bekommen, bei Ihnen ab sofort einige Dienste zu übernehmen.“ „Herr Berger! Das ist ja wunderbar!“, schallt es am anderen Ende der Leitung. „Sie sind unsere letzte Rettung…!“
Einige Minuten später sind alle wichtigen Einzelheiten besprochen und ich sitze im Auto auf dem Weg zum Pflegedienst in Berlin Wedding.
Meine Pflegetasche ist immer fertig mit allen wichtigen Dingen wie Blutdruckmessgerät, Blutzuckermessgerät, Gummihandschuhe, Desinfektionsmittel und ein wenig Verbandsmaterial gepackt. Außerdem habe ich noch schnell am PC zu Hause den Dienstleistungsvertrag ausgefüllt und ausgedruckt. „Was mich dieses Mal wohl erwarten wird?“, frage ich mich. Eine Ungewissheit vor jedem neuen Auftrag.
Kaum in der ambulanten Krankenpflegestation angekommen, sitze ich im Zimmer der Pflegedienstleitung. Der Vertrag wird unterschrieben. Das Honorar ist auch festgelegt. Ich bekomme noch den Einsatzplan ausgehändigt und den Schlüssel für die Station. Eine angestellte Pflegekraft zeigt mir die Räumlichkeiten und den Schlüsselschrank in dem die Haustürschlüssel der Patienten hängen. Ich frage noch nach Besonderheiten meiner „Tour“. Sie erklärt mir ein paar wichtige Details zu den einzelnen Klienten – zu viel um sich alles in der kurzen Zeit zu merken. Das Wichtigste notiere ich auf dem Einsatzplan.
Die Pflegekraft fragt mich, ob es mir gefällt als freiberufliche Pflegekraft zu arbeiten. Ich antworte ihr: „Ja es gefällt mir sehr. Ich brauche Abwechslung im Job und freue mich über fast täglich neue Aufgaben und Einsatzgebiete.“ „Für mich wäre diese Arbeit nichts.“, entgegnet sie mir. „Fast jeden Tag neue Patienten kennen lernen müssen und außerdem sehr flexibel sein – das würde mir keine Freude machen. Außerdem habe ich eine kleine Tochter, da brauche ich feste Arbeitszeiten.“ Dann verabschiedet sie sich und wünscht mir einen ruhigen Dienst. Ich lächle und sage: „Ja danke das wird schon.“, obwohl ich ganz genau weiß, dass es kein ruhiger Dienst wird.
Schnell hole ich noch die Schlüssel der Patienten aus dem Schrank, denn eigentlich sollte ich schon vor 5 Minuten beim ersten Patienten sein.
Zurück im Auto schaue ich kurz über den Einsatzplan. Über 20 Patienten habe ich zu versorgen. Diese Tour ist zwar speziell für examinierte Pflegefachkräfte zusammengestellt und beinhaltet für mich dementsprechend nur Behandlungspflege, aber es ist trotzdem alles neu. Weder die Patienten kenne ich, noch die Wege dorthin. Also schalte ich das Navigationsgerät ein und gebe die erste Adresse ein. Das Navigationsgerät teilt mir freundlich mit, dass ich in 5 Minuten bei der ersten Adresse ankommen sollte. Es ist allerdings 15 Uhr und der Feierabendverkehr setzt langsam ein. Die Straßen sind voll! Dann noch eine Baustelle und es wird immer später! Die vereinbarte Einsatzzeit liegt nun eine halbe Stunde in der Vergangenheit – „Super Auftakt!“, schießt es mir durch den Kopf.
Endlich bei der ersten Patientin angekommen: „Guten Tag Frau Müller. Ich bin Pfleger Mathias und helfe bei der Pflegestation ein paar Tage aus. Wie geht es Ihnen?“ Frau Müller antwortet mir unmissverständlich: „Schon wieder ein Neuer?! Warum sagt man mir nicht, dass hier wieder jemand Neues auftaucht? Außerdem sind Sie viel zu spät!“ „Es tut mit sehr leid Frau Müller, dass ich zu spät komme. Die Straßen waren voll und dann war da noch eine Baustelle …“, antworte ich höflich. „Ständig tauchen hier neue Leute auf. Ich weiß bald gar nicht mehr wer hier alles in meine Wohnung kommt.“ „Es tut mir wirklich leid, Frau Müller. Es ist wahrscheinlich jemand von den Mitarbeitern krank geworden. Wo finde ich eigentlich Ihre Dokumentationsmappe?“, frage ich.
Frau Müller steht langsam aus dem uralten verblichenen Sessel auf. Etwas gebückt geht sie zur Schrankwand die wohl noch aus den 70er Jahren stammt und holt die Dokumentationsmappe hervor. Außerdem noch einen Schuhkarton, den sie auf den Tisch stellt. „Da sind die Medikamente drin.“, sagt sie leise beiläufig.
Im Einsatzplan steht, dass ich Frau Müller die Medikamente für den Abend verabreichen soll. Außerdem erhält sie von mir noch Insulin. Nachdem ich mich durch die Dokumentationsmappe geblättert habe, die gefühlte 1000 Formulare enthält, finde ich auch das Medikationsblatt. Ich suche die Tabletten aus dem Schuhkarton und spritze Ihr das Insulin, so wie der Arzt es verordnet hat. Nebenbei unterhalten wir uns kurz über das schlechte graue regnerische Wetter. Es ist Herbst geworden.
Nachdem ich 4 oder 5 Handzeichen in der Pflegedokumentation gesetzt habe, verabschiede ich mich: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Wir sehen uns morgen Abend wieder.“ „Wer kommt morgen früh?“, fragt mich Frau Müller beim Rausgehen. „Das kann ich Ihnen auch nicht genau sagen. Ich kenne die Mitarbeiter und den Dienstplan nicht.“ antworte ich vom Weiten. Frau Müller schmunzelt und sagt: „Naja irgendjemand wird schon kommen. Vergessen werden die mich schon nicht. Ihnen auch einen schönen Abend.“
Dann schließe ich die Tür hinter mir und renne die 4 Etagen im Altbau herunter zum Auto.
Nächster Patient, nächste Adresse. Und wieder gibt das Navigationsgerät einen sehr unrealistischen Zeitwert für die nächste Strecke aus. Obwohl es kalt ist und regnet, bin ich total nass geschwitzt.
Beim nächsten Patienten muss der Verband gewechselt werden. Was für ein Verband kann ich noch nicht sagen. Dass weiß ich erst, wenn ich beim Patienten angekommen bin.
Wahrscheinlich ist es genau das was mich und die vielen anderen freiberuflichen Pflegekräfte an der Arbeit so fasziniert. Immer wieder Überraschungen und neue Herausforderungen. Man weiß nie was einen in der nächsten Wohnung oder in der nächsten Einrichtung erwartet. Ich wünsche mir, dass ich meine Selbstständigkeit noch viele Jahre weiterführen kann. Fest bei einem Arbeitgeber angestellt zu sein, kommt für mich in naher Zukunft jedoch nicht mehr in Frage. Ich genieße meine Freiheit und endlich ein gutes Honorar für die schwere Arbeit als Pflegekraft.